Buchrezession: Felicitas Prokopetz: Wir sitzen im Dickicht und weinen

Das ist ein Buch, das mich hin und her zieht.

Den Anfang fand ich sehr verwirrend, da es über mehrere Generationen berichtet und von zwei verschiedenen Stammbäumen, die dann durch letzten Spross, Tobi, der Sohn von der Protagonistin Valeri, vereint wird.

Das Buch zeigt durch die generationsübergreifende Erzählung auf, dass persönliche Themen von Generation zu Generation weitergegeben werden. Falls diese nicht bearbeitet werden, bleiben sie bestehen oder wandeln sich in genau das gegenteilige Extrem um.

Ein weiterer Aspekt, den ich sehr interessant fand, ist wie Fremd und Selbstwahrnehmung auseinanderdriften und die eine schwierige Kommunikation nach sich zieht. Wie stark Emotionen das Handeln und die Wirkung auf anderes beeinflussen. Die Traurigkeit über Generationen hinweg ist entstanden, da lieber geschwiegen oder durch Nichtigkeiten von den dringenden Themen abgelenkt wird, als miteinander einmal offen zu reden. Dieses Phänomen zieht sich über alle Generationen hinweg und spiegelt sich wunderbar in dem Titel wider.

Schade fand ich, dass viele Themen, die kritisch und einschneidend für die Betroffenen waren, nur kurz erwähnt worden sind. So plätschern Themen dahin, die allerdings Generationen später noch Einfluss hatten.

Die Krebsdiagnostik der Mutter von Valeri schafft zwar eine gewisse Dramaturgie und Endlichkeit, allerdings rückt sie sehr in den Hintergrund. Der emotionale Berg und Talfahrt für alle, die die Krankheit direkt oder indirekt miterleben, wird kaum thematisiert.

Was mir gefehlt hat, war etwas mehr Struktur, die leicht ergänzt werden könnte. Es würde sehr helfen, wenn z.B. die Angabe von Jahreszahlen, die zu der Kapitelnummer in der Kapitelüberschrift ergänzt werden könnten, die Namen aus den zwei Familien-Stammbäumen sich stärker voneinander unterscheiden, oder aber ein gezeichneter Familie-Stammbaum im Buchdeckel zu finden ist beziehungsweise ein Glossar zu den Namen am Buchende ergänzt wird.

Danke an Lesejury für das Belegexemplar, es hat Freude gemacht mitzumachen.

Buchrezession: Sarah Lark: Himmelsstürmerinnen – Wir greifen nach den Sternen

Sarah Larks Buch „Himmelsstürmerinnen – Wir greifen nach den Sternen“ handelt von vier sehr unterschiedlichen Frauen, die auf verschiedene Art und Weise nach den Sternen greifen und diese auch erreichen. Der Roman beginnt in Schottland im Clan Hardt im 19. Jahrhundert. Drei Cousinen und ein „Ziehkind“ aus der Arbeiterschicht finden während des gemeinsamen Internatsaufenthaltes jeder von Ihnen Ihre eigene Bestimmung, die sie konsequent verfolgen.

Die Sterne, die sie erreichen wollen, sind unterschiedlicher Natur.

Ailis greift tatsächlich nach den realen Sternen. Ailis als einzige Tochter des Clan-Chefs der Hardts wird mit einem Filou zwangsverheiratet und muss das Internat vorzeitig verlassen. Sie wird als schwangere Frau ohne Geld von Ihrem Mann zurückgelassen. Dennoch schafft sie es eine des ersten weiblichen Computers zu werden, die Sternenbilder auswerten. Ihre Geschichte erinnerte mich sehr an „Pygmalion“ oder „My fair lady“, denn auch hier erreicht Ailis ihre Ziele aufgrund eines Gönners und Mäzen. Dabei entdeckt Ailis ihre Homosexualität. Im 19. Jahrhundert war dies ein sehr heikles Thema, das im Buch sehr oberflächlich behandelt wird und dem Thema der damaligen Zeit nicht gerecht wird.

Hailey als Tochter der zweitobersten Clan Familie greift nach den Sternen eines Stars. Sie lernt früh, andere Menschen zu manipulieren. Da sie als Kind von der Mutter alles bekommt, was sie wollte, wird ihr Emily, die Tochter der Chefin der Patisserie, in Obhut gegeben. Emily wird wie eine Marionette genutzt. Hailey lernt auf der Weltreise nach dem Internat ihren eigenen Körper einzusetzen, um so alles zu bekommen, was sie möchte. Steht ihr jemand im Weg, findet sie immer eine Lösung, denjenigen bloßzustellen und somit aus dem Weg zu räumen. Hailey gelingt es den Sternenhimmel der Stars zu erreichen. Allerdings verglüht sie dabei wie eine Sternschnuppe oder Ikarus, der mit seinen Wachsflügeln zu nah an die Sonne heranflog.

Donatella bleibt als einzige länger in Europa, während die anderen sich in Boston niederlassen werden. Sie erreicht den Luftraum mithilfe eines Luftschiffes, das sie selber entworfen hatte, und kommt damit den Sternen sehr nah. Ihre Geschichte erinnert mich an den Film „Yentil“, bei dem eine Frau in Männerkleidung eine Universität besucht und ansehen muss, wie der Mann, den sie liebt, eine andere heiraten wird. Donatella ist durch die Liebe geblendet und ermöglicht ihren Geliebten weiterzukommen, während sie zurückbleibt. Doch dann entscheidet sie sich, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen und folgt den anderen nach Boston.

Emily, die Tochter der Köchin und Hailey „Ziehkind“, macht meines Erachtens die stärkste charakterliche Änderung durch. Leider ist es nicht klar, wie es zu diesem Wandel kommt. Plötzlich geht sie in Bosten ihren eigenen Weg und beginnt sich zu wehren. Sie geht eine „Mischehe“ ein. Was in den USA im 19 Jahrundert ein absolutes Tabu war. Die Folgen ihres Mutes werden angerissen, wie eine versuchte Vergewaltigung oder Ausgrenzung in der Öffentlichkeit. Bedauerlicherweise fehlt mir hier der Tiefgang und auch die Konsequenz im Alltag, es scheint eher keinen wirklichen Einfluss auf Emily oder die Freundinnen zu haben. Ihr Weg die Sterne zu erreichen ist, indem sie Gänseküken aufzieht und ihnen durch die Hilfe eines Heißluftballons das Fliegen beibringt. Die Geschichte mit der Gänseforschung ist für mich ein bisschen eine Mischung zwischen „Nils Holgerson“ und Konrad Lorenz Gänse Forschung.

Der Schreibstil von Sarah Larke ist flüssig und kurzweilig. Ich finde es sehr schade, dass der Hauptteil der Geschichte in den USA spielt und nicht in Schottland oder England weitergeführt wird. Ebenso werden schwierige Themen gerade aus dieser Zeit angeschnitten wie Me Too, LGBTQY+, Interracial Marriage, aber nicht zu Ende gedacht und damit „verniedlicht“. Konsequenzen wie Verweis der Universität oder eine aufgebrachte, bedrohliche Menschenansammlung scheinen an den Protagonistinnen einfach abzuprallen und bleiben ohne Konsequenz. Die Charakterzüge der Protagonistinnen werden konsequent durchgeführt, eine Entwicklung ist für mich nur bei Emily zu erkennen. Wie es zu dieser Entwicklung von einem willenlosen „Ziehkind“ zu einer willensstarken und kämpferischen Frau gekommen ist, bleibt nebulös. Alles in allen ist der Roman kurzweiligen und unterhaltsamen, allerdings fehlen für mich der Tiefgang und nachvollziehbare charakterliche Entwicklungen der Protagonistinnen, sowie eine realistische Einbettung der Handlung in die Zeit des 19. Jahrhunderts.